Diese endlos
langen Erklärungen! Wenn Brasiliens Präsidentin spricht, lehnt man sich besser
erstmal zurück. Man winkt dann als Journalist nach einem frischen Glas Wasser
und schielt auf die Batterieanzeige des Aufnahmegeräts. "Eine Frau ist kein
schwaches Wesen, und eine brasilianische Frau erst recht nicht. Wir mögen
emotionaler und affektierter sein, aber deswegen noch lange nicht schwach", kommt
Dilma Rousseff zum Schluss. 3 Minuten und 9 Sekunden sind für die Antwort auf
eine Frage der ZEIT verstrichen. Und diese Frage hatte lediglich gelautet, wie es
ihr eigentlich geht.
In Brasilien
ist Staatskrise, und die Präsidentin spricht darüber mit Journalisten aus
dem Ausland, von der ZEIT und der New York Times und Le Monde und so weiter. Das macht sie sonst fast nie, und es hat
wohl damit zu tun, dass sich die großen Medienkonzerne ihres eigenen Landes
recht offen dem Sturz der Rousseff verschrieben haben. "Dies ist ein
Staatsstreich", lautet die alarmierende Botschaft der Präsidentin an den Rest
der Welt. In einem Land mit 200 Millionen Menschen, der siebtgrößten
Wirtschaftsmacht der Welt.
Das sagt man
natürlich nicht einfach so – als Präsidentin einer Republik. Ein
"Staatsstreich", weil die Staats- und Regierungschefin sich im Clinch mit der
Opposition befindet? Man könnte argumentieren, dass diese Wortwahl selbst mit
demokratischen Regeln bricht, dass auch sie gefährlich ist. "Reden wir über das
Verfahren zur Amtsenthebung, das gegen mich läuft", hebt Rousseff zur
Antwort an und lehnt sich ein wenig zurück, die Hände bequem auf dem Tisch.
Jetzt, das weiß man schon, wird es erst recht ausführlich werden, wird eine
umfassende Erklärung ganz in der Tradition linker Staatschefs Lateinamerikas
folgen.
Viel mehr als eine einfache demokratische Auseinandersetzung
Rousseffs
unmittelbares Problem ist ein Amtsenthebungsverfahren im Abgeordnetenhaus. In
der vergangenen Woche hat eine parlamentarische Kommission ihre Arbeit
aufgenommen, die entscheiden soll, ob die Präsidentin wegen Fehlverhaltens aus
dem Amt gejagt wird. Mitte April soll sie zu einem Ergebnis kommen, und es ist
ein Verfahren voller Absurditäten. Die Kommission ist voller politischer
Feinde Rousseffs und eine feine Gesellschaft sitzt da keineswegs beisammen: Etwa
ein Drittel der Abgeordneten hat die Polizei oder irgendwelche
Untersuchungskommissionen wegen Korruption oder anderer Delikte am Hals. Ein
Mitglied wurde schon per Interpol gesucht.
Der Chef
dieser Kommission, ein evangelikaler Eiferer und politischer Meisterspieler
namens Eduardo Cunha, wird zur Zeit in einer ganzen Serie von polizeilichen
Untersuchungen zitiert. Unter anderem besitzt er völlig unerklärliche
millionenschwere Geheimkonten in der Schweiz. "Er ist von der Polizei angezeigt
worden, er wird nicht einfach bloß untersucht", betont Dilma Rousseff. Sie, die
Präsidentin, sei von dem Oppositionspolitiker Cunha erpresst worden. Nach dem
Motto: Wenn die Regierung nicht die Untersuchungen gegen mich einstellen lässt,
dann stürze ich die Präsidentin.
Rousseff gilt als unverdächtig
"Nie habe ich auch nur ein einziges Mal die
Macht der Regierung benutzt, um jemandem etwas zugutekommen zu lassen, das ihm
nicht zusteht", sagt Rousseff, und jetzt wird ihre Stimme lauter, ihre Augen werden
größer und ihr Zeigefinger durchbohrt mit kräftigen Stößen die Luft. "Ich habe
den Armen dieses Landes Vorzüge verschafft. Ich habe denen etwas zugeschoben, die
schwächer sind."
Tatsächlich
gilt Dilma Rousseff weit und breit als unverdächtig der Korruption, und damit
als eine Ausnahmeerscheinung in der brasilianischen Politik. Belangt werden soll
sie wegen einer technischen Feinheit: dass sie in ihrer ersten Amtsperiode, vor
ihrer Wiederwahl im Oktober 2015, den Staatshaushalt falsch berechnet habe. Jeder
in Brasilien weiß, dass es darum gar nicht geht. Aber nochmal: Ein Staatsstreich?
Medienkampagne gegen Rousseff und Lula?
Es kommt noch
mehr hinzu. Ein brasilianischer Bundesrichter, der wegen seiner ehrgeizigen
Antikorruptionsermittlungen im ganzen Land zu einer Art Nationalheld
aufgestiegen ist, interessiert sich seit Monaten auffällig stark für Politiker
des Regierungslagers und auffällig wenig für solche der Opposition. Kürzlich
ließ er den engsten Verbündeten Rousseffs, ihren Mentor und Amtsvorgänger Lula
da Silva, von dessen Haus abführen. Stichhaltige Beweise für irgend ein
Fehlverhalten sind bisher jedoch nicht bekannt geworden. Das führte zu einer atemberaubenden
Serie neuer Verwicklungen, zumal Lula 2018 noch einmal als Kandidat für
die Präsidentschaft antreten will.
Die großen Medien des Landes, allen voran der Fernseh- und Zeitschriftengigant
O Globo, rufen derweil zu Massendemonstrationen gegen die Präsidentschaft auf
und stellen Lula da Silva und Dilma Rousseff als eine Art Mafiachefs dar. Als vergangene
Woche eine Polizeirazzia beim größten brasilianischen Baukonzern eine Liste von
Politikern hervorbrachte, von denen viele offenbar bestochen wurden, fiel die Berichterstattung
auffällig mager aus. Auf der Liste standen auch sehr viele Politiker der
Opposition.
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