Mission Lifeline: Europa schaut Leiden von Bootsflüchtlingen nur zu
Mission Lifeline/AFP/Archiv / Hermine POSCHMANN"Lifeline" mit Flüchtlingen an Bord
Fünf Tage nach der Rettung von mehr als 230 Bootsflüchtlingen nahe der libyschen Küste durch die "Lifeline" wartet das von einer deutschen Hilfsorganisation betriebene Schiff weiter darauf, in einen EU-Hafen einlaufen zu können. Der Mitbegründer der Dresdner Hilfsorganisation Mission Lifeline, Axel Steier, kritisierte am Montag die Tatenlosigkeit der EU. Italiens Innenminister Matteo Salvini warb unterdessen in Libyen für ein Aufhalten von Flüchtlingen.
"Europa guckt zu, wie die Leute auf dem Boot dahin vegetieren", sagte Steier der Nachrichtenagentur AFP. Er hob hervor, dass die Flüchtlinge - unter ihnen 14 Frauen und vier Kinder unter drei Jahren - allesamt "Schlimmes erlebt" hätten und dringend Hilfe benötigten. Das von Mission Lifeline betriebene Rettungsschiff harrte am Montag weiter rund 55 Kilometer vor der Küste des EU-Mitgliedstaats Malta aus.
Malta und Italien hatten der "Lifeline" das Anlaufen eines Hafens verweigert, Salvini von der fremdenfeindlichen Lega-Partei bekräftigte dies am Montag. Die populistische Regierung in Rom hatte zudem mit der Beschlagnahmung des Schiffes gedroht.
Die Flüchtlinge auf der "Lifeline" waren am Mittwoch nahe der libyschen Küste aufgenommen worden. Am Sonntag traf nach Angaben von Mission Lifeline eine Versorgungslieferung aus Malta mit Lebensmitteln und Trinkwasser ein. Die Schiffe "Sea-Eye" und "Sea-Watch" hätten zudem Medikamente und Decken gebracht, hieß es auf Facebook.
Mission Lifeline befürchtet für ihr Schiff ein vergleichbares Schicksal wie das der "Aquarius". Das Schiff war mit mehr als 600 Menschen an Bord zunächst von Italien und Malta abgewiesen worden. Erst nach einer längeren Irrfahrt konnten die Flüchtlinge auf der "Aquarius" vor gut einer Woche in Spanien an Land gehen. Dort wurden am Montag mehr als 600 Flüchtlinge aus Seenot gerettet.
Derweil blieb das Schiff "Seefuchs" der Organisation Sea-Eye am Montag weiter im Hafen von Maltas Hauptstadt Valletta. Die Besatzung gehe Unterlagen durch, um Vorwürfe bezüglich des Status des Schiffes auszuräumen, sagte Sea-Eye-Gründer Michael Buschheuer der AFP. Die Niederlande, unter deren Flagge die "Seefuchs" ebenso wie die "Lifeline" fahren, hatten zuvor erklärt, die beiden Hilfsschiffe seien nicht in den niederländischen Registern verzeichnet.
Auch ein Containerschiff der dänischen Reederei Maersk Line, das am Samstag nahe der italienischen Küste dutzende Flüchtlinge aus Seenot gerettet hatte, wartet weiter auf die Erlaubnis, einen Hafen anlaufen zu dürfen. Das Schiff "Alexander Maersk" mit 108 Flüchtlingen an Bord liege vor der Küste Siziliens und warte auf Anweisungen der italienischen Behörden, sagte ein Sprecher der Reederei.
AFP / Mahmud TURKIASalvini (l.) und Meitik
Salvini sprach sich bei einem Besuch in Tripolis für Flüchtlings-Aufnahmezentren jenseits der südlichen Grenze Libyens aus. Derartige Ankunfts- und Identifikationszentren sollten sowohl Italien als auch Libyen helfen, Migration "aufzuhalten", sagte er bei einer Pressekonferenz mit dem libyschen Vize-Ministerpräsidenten Ahmed Meitik in der libyschen Hauptstadt. Libyen ist das Hauptdurchgangsland für Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, die über das Mittelmeer in die Europäische Union gelangen wollen.
Den Vorschlag wolle er auch beim EU-Gipfel in Brüssel in dieser Woche unterstützen, sagte der italienische Minister. Im Süden grenzt Libyen an den Tschad und den Sudan, südwestlich des Landes liegt der Niger. In Tschad, Sudan, Mali und Niger werde noch diese Woche eine "technische Mission mit italienischer Beteiligung" erwartet, sagte Salvini.
EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos forderte die EU auf, gemeinsam an einer Lösung der Flüchtlingskrise zu arbeiten. Es handele sich um einen Zeitpunkt "großer Verantwortung", sagte Avramopoulos wenige Tage vor dem Gipfel in Brüssel. Falls keine Einigung gefunden werde, sei das "europäische Projekt in Gefahr", sagte der EU-Kommissar bei einem Besuch im Iran.
Arrest nach Gürtel-Angriff auf Männer mit Kippas in Berlin
dpa/AFP / Paul ZinkenDer Angriff auf Männer mit Kippas löste eine Debatte über Antisemitismus aus.
Mehr als zwei Monate nach dem Gürtel-Angriff auf zwei Kippa tragende Männer in Berlin ist der Angeklagte zu einem Arrest von vier Wochen nach Jugendstrafrecht verurteilt worden. Das Amtsgericht Tiergarten sprach den 19-Jährigen am Montag der Beleidigung und Körperverletzung schuldig. Die Strafe gilt aufgrund der Untersuchungshaft bereits als verbüßt. Der Angeklagte sollte noch am Montagabend auf freien Fuß kommen.
Das Gericht folgte damit weitgehend der Forderung der Staatsanwaltschaft, die vier Wochen Arrest und zudem Freizeitarbeit gefordert hatten. Das Geld davon sollte an die Opfer gehen.
Der angeklagte Syrer hatte zugegeben, Mitte April im Stadtteil Prenzlauer Berg einen arabischen Israeli und einen Deutschmarokkaner, beleidigt und einen davon mit seinem Gürtel geschlagen zu haben. Beide trugen Kippas. Der 21-jährige Israeli, der nach eigenen Angaben kein Jude ist, wurde dabei leicht verletzt. Den Antisemitismusvorwurf wies der Angeklagte entschieden zurück.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, begrüßte den Richterspruch. "Das Urteil zeigt: Wer sich antisemitisch betätigt oder äußert, steht außerhalb der Gesellschaft und muss mit den Konsequenzen des Rechtsstaats rechnen", sagte Klein der Nachrichtenagentur AFP.
Auch der Zentralrat der Juden begrüßte, "dass der Täter ganz klar wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung schuldig gesprochen wurde". Es zeige sich aber auch, "dass wir mit dem Strafrecht alleine das Antisemitismusproblem nicht in den Griff bekommen werden, sondern in der Schulbildung und bei der Integration der Migranten sehr viel Nachholbedarf besteht", erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster.
Der Angriff hatte bundesweit für Empörung gesorgt und eine Debatte über Antisemitismus in Deutschland ausgelöst. Besondere Bekanntheit erlangte der Fall auch, weil eines der Opfer die Tat filmte und das Video in sozialen Netzwerken veröffentlichte, wo es sich schnell verbreitete.
In mehreren deutschen Städten fanden Solidaritätsveranstaltungen für jüdische Mitbürger statt. Der Zentralrat der Juden riet aus Sicherheitsgründen gar davon ab, in der Öffentlichkeit Kippa zu tragen.
Türkischer Präsident Erdogan enttäuscht Hoffnung auf Wandel
AFP / Yasin AKGULAKP-Anhänger feiern Sieg Erdogans in Istanbul
In der Türkei hat sich die Hoffnung der Opposition auf Wandel erneut zerschlagen: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zementierte mit einem klaren Sieg bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am Sonntag seine Macht auf Jahre hinaus. Trotz scharfer Kritik am Wahlverlauf gestand sein Herausforderer Muharrem Ince seine Niederlage ein. Die OSZE-Beobachtermission kritisierte ungleiche Bedingungen im Wahlkampf, sah jedoch keine gravierenden Unregelmäßigkeiten am Wahltag.
"Ich akzeptiere diese Wahlergebnisse", sagte Ince am Montagmittag in Ankara. Doch sei der Wahlverlauf "ungerecht" gewesen, und viele Stimmen seien "gestohlen" worden. Allerdings betrage der Unterschied zwischen ihm und Erdogan zehn Millionen Stimmen. Angesichts dieses Unterschiedes wäre es falsch gewesen, seine Anhänger zu Straßenprotesten aufzurufen, sagte der Kandidat der linksnationalistischen CHP.
Die CHP hatte am Wahlabend die offiziellen Ergebnisse in Zweifel gezogen, und ihre Anhänger aufgerufen, die Auszählung in den Wahllokalen zu überwachen. Aus dem Südosten der Türkei gab es zahlreiche Berichte über Unregelmäßigkeiten. Auch hinderten die Behörden mehrere Ausländer an der Beobachtung der Wahlen, weil sie keine Akkreditierung hatten. Auch drei Deutsche wurden festgenommen.
AFP / Aris MESSINISAuszählung der Stimmzettel in Istanbul
Die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierten am Montag einen "Mangel an gleichen Bedingungen" für die Kandidaten im Wahlkampf, da das Regierungslager deutlich bevorteilt gewesen sei. In einem Bericht kamen sie aber auch zu dem Schluss, dass trotz etlicher Unregelmäßigkeiten am Wahltag die Regeln "weitgehend eingehalten" worden seien.
Auch die EU kritisierte die Umstände der Wahlen. "Die Wähler hatten eine echte Wahl, aber die Bedingungen für den Wahlkampf waren nicht gleich", erklärten die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Erweiterungskommissar Johannes Hahn.
Laut den vorläufigen Ergebnissen erhielt Erdogan bei der Präsidentschaftswahl 52,6 Prozent, während Ince mit 30,6 Prozent auf dem zweiten Platz landete. Selahattin Demirtas von der prokurdischen HDP kam mit 8,4 Prozent auf den dritten Platz, obwohl er seit 2016 in Haft sitzt. Die Nationalistin Meral Aksener von der neugegründeten IYI-Partei, der einmal ernste Chancen zugerechnet worden waren, erhielt nur 7,3 Prozent.
Auch bei der Parlamentswahl bekam die vor der Wahl geschmiedete Volksallianz aus Erdogans islamisch-konservativer AKP und der ultrarechten MHP trotz Stimmverlusten eine absolute Mehrheit von 53,6 Prozent. Die oppositionelle Allianz der Nation aus CHP und IYI erhielt 34 Prozent. Die HDP gelangte mit 11,5 Prozent erneut über die Zehn-Prozent-Hürde ins Parlament, obwohl sie im Wahlkampf mit zahlreichen Hürden zu kämpfen hatte.
TURKISH PRESIDENTIAL PRESS SERVICE/AFP / KAYHAN OZERErdogan bei Siegesfeier in Ankara
Bei einem frühmorgendlichen Auftritt auf dem Balkon der AKP-Zentrale in Ankara sagte Erdogan, mit der Wahlbeteiligung von 88 Prozent hätten die Wähler "Geschichte geschrieben" und "der ganzen Welt eine Lektion in Demokratie erteilt". Der langjährige Herrscher kündigte an, das Präsidialsystem "schnell" umzusetzen, das mit der Wahl in Kraft tritt und seine Befugnisse deutlich stärkt.
Ince rief Erdogan bei seiner Pressekonferenz am Montag auf, nicht als AKP-Vorsitzender zu regieren, sondern der Präsident aller Türken zu sein. "Sie vertreten 80 Millionen", sagte Ince. "Sie sind unser aller Präsident." Zugleich nannte er das Präsidialsystem "eine Gefahr für die Türkei".
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) rief Erdogan auf, nun rasch den Ausnahmezustand aufzuheben. Dies sei "der nächste Schritt", um das Verhältnis der Türkei zu Deutschland und Europa zu verbessern, sagte Maas beim EU-Außenministertreffen in Luxemburg. Regierungssprecher Steffen Seibert äußerte die Erwartung, dass die Zusammenarbeit weiter "konstruktiv und gedeihlich" sein werde.
Nachdem es in der Nacht in mehreren deutschen Städte Feiern zum AKP-Sieg gegeben hatten, zeigten sich mehrere deutsche Politiker irritiert über die starke Unterstützung für Erdogan unter Deutsch-Türken. Mit 64,8 Prozent schnitt er in Deutschland deutlich besser ab als in der Heimat.
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